Veintiuno

Dostojewski: Der Spieler

Ein ruinierter russischer General flieht samt Gefolgschaft vor seinen Schulden nach Roulettenburg^1)^[fiktiv, wohl basierend auf Wiesbaden]{#footnote_plugin_tooltip_text_1 .footnote_tooltip}, um dort auf den Tod einer reichen Erbtante zu warten. Vom Eintreffen dieses Ereignisses hängt auch ein Großteil der Hoffnungen der Mitgereisten ab.

Der General würde gern Mademoiselle Blanche de Cominges^2)^[die eigentlich du-Placet heißt]{#footnote_plugin_tooltip_text_2 .footnote_tooltip} heiraten, braucht aber dafür Geld. Polina Alexandrowna, Stieftochter des Generals, hat mit dem unsympathischen Franzosen Des Grieux zu kämpfen, bei dem der General Schulden hat, wird aber auch von dem Lehrer Alexej Iwanowitsch, aus dessen Sicht die Geschichte geschrieben ist, umgarnt. Neben den Hauptakteuren finden sich auch potentielle Nutznießer ein.

Häufiges Nachfragen per Telegramm gen Heimat provoziert einen unerwarteten, Aufsehen erregenden Auftritt der Erbtante im Kurort. Neben allgemeiner Irritation wird schnell klar, dass der General kein Geld sehen soll. Zudem stürzt sich die Alte selbst in arge Nöte, als sie Roulette zu spielen beginnt. Erst gewinnt sie, nur um dann alles außer ihren Immobilien zu verlieren und geschwächt abzureisen. Der General beginnt derweil, seinen Verstand zu verlieren.

Für Alexej ist die Handlung nur von geringer Bedeutung. Er wäre gern woanders angestellt und bleibt in der Hauptsache wegen Polina, zu der er ein offenes, aber kompliziertes Verhältnis hat. Er eckt oft an, redet gern und viel, wobei man nicht so recht weiß, wieviel davon ernst gemeint ist. Ebendas scheint auch für Polina ein Problem zu sein, denn gerade ihr gegenüber entledigt er sich jedes Selbstwertgefühls und Stolzes, um auf der einen Seite Mord und Selbstmord anzubieten, während er auf der anderen Seite gerne Streiche spielt und Polina mit schroffen und direkten Fragen zur Weißglut bringt.

Sie verhält sich ihm gegenüber allerdings auch wenig aufrichtig und freundlich, erwartet eine dienerhafte Ergebenheit und sinnlose Mutproben^3)^[so zum Beispiel die Aufforderung, einen Baron und seine Frau zu grüßen, was zu einer mittleren diplomatischen Katastrophe führt]{#footnote_plugin_tooltip_text_3 .footnote_tooltip}.

Achtung: Wer das Ende noch nicht kennt oder kennen will, sollte nicht weiterlesen.

Als Alexej klar wird, dass sich Polina dem Franzosen Des Grieux gegenüber wegen der Schulden verpflichtet fühlt, wittert er eine Chance, seine bisherigen Näherungsversuche zu übertrumpfen, gewinnt spontan eine große Summe beim Roulette und will Polina beschenken. Sie sieht in dieser Taktik aber offenbar nur eine andere Form des Kaufs: Entweder »kauft« der Franzose sie durch die gemachten Schulden oder Alexej »kauft« sie durch seine freizügige Spende. So oder so sieht sie sich in der Zwickmühle. In geistiger Umnachtung wirft sie sich ihm für eine Nacht an den Hals, um daraufhin in Panik den neutralen Freund beider, den Engländer und Zuckerfabrikaten Mr. Astley, aufzusuchen.

Aber auch Alexej befindet sich in einer Zwickmühle. Der Gewinn der großen Summe hat ihn innerlich fast verglühen lassen. Schon bei der Rückkehr zu Polina ist er geistig etwas der Realität entrückt und von seinem Gewinn geblendet.

Gerade die Beschreibungen des Glücksspiels und das irrationale Verhalten der Spieler, Zuschauer und Gauner machen das Buch lesenswert. Gerade an den Stellen, an denen Alexej seine Beobachtungen, seine Blackouts und das törichte Verhalten der Erbtante des Generals beschreibt, nimmt der Roman an Fahrt auf.

An dieser Stelle im Buch gibt es einen Bruch, sowohl in der Handlung als auch erzähltechnisch. Für die Figuren geht es eigentlich nur noch bergab und der detailgrad der Erzählung nimmt stark ab^4)^[Die Einträge liegen zeitlich immer weiter auseinander und fassen viel zusammen]{#footnote_plugin_tooltip_text_4 .footnote_tooltip}. Zum Teil wohl lässt sich das vielleicht mit der Entstehung des Textes erklären. Der Spieler wurde in nur 26 Tagen geschrieben^5)^[um genau zu sein: diktiert]{#footnote_plugin_tooltip_text_5 .footnote_tooltip}, und kann daher nur bedingt Tiefe und glaubwürdige Handlung aufweisen.

Nach der besagten Nacht lässt sich Alexej von der Franzosin auf plumpe Art überreden, sie nach Paris zu begleiten^6)^[finde ich nicht sehr schlüssig]{#footnote_plugin_tooltip_text_6 .footnote_tooltip}, um ihr beim Ausgeben seines Geldes zuzuschauen. Da Alexej scheinbar ohnehin nicht viel an dem Geld liegt, lässt er alles ohne Einwände über sich ergehen und hofft nur, dass das Spektakel und der Umgang mit der profilierungssüchtigen Blanche samt umsympathischer pariser Möchtegern-Noblesse schnell ein Ende findet.

Nach ein paar Tagen gesellt sich der General dazu und darf als innerlich gebrochener Mensch^7)^[hat ein schlechtes Gewissen wegen seiner Kinder, die er seit jeher vernachlässigt hat und finanziell nicht unterstützen kann]{#footnote_plugin_tooltip_text_7 .footnote_tooltip}, aber repräsentable Pappfigur Mademoiselle Blanche heiraten und bei passenden Anlässen dekorativ herumstehen.

Alexejs Geld ist mit dem Hochzeitstag komplett ausgegeben und er macht sich daran, sein Spielglück bis auf Weiteres zu testen. Arm wie eine Kirchenmaus verdingt er sich nebenher in mal mehr, mal weniger niedrigen Anstellungen und wirft sein Geld für den ersehnten erneuten Kick, dem ausstehenden Supergewinn, der ihn Glanz und Anerkennung bescheren würde, aus dem Fenster.

Bei einem (scheinbar?) zufälligen Zusammentreffen mit Mister Astley nach einigen Monaten werden zum letzten Mal die Fronten geklärt. Mr. Astley eröffnet Alexej, dass Polina ihn (für ihn unerwartet) noch immer liebt, würde ihn sogar wiedersehen wollen. Astley, der schon früher den richtigen Riecher hatte, glaubt nicht an ein Umdenken bei Alexej, händigt ihm eine kleine Summe zum Verspielen aus^8)^[Er bietet ihm sogar an, 1000 Pfund für ein neues Leben in Russland zu spendieren, wenn er denn das Spielen aufgäbe]{#footnote_plugin_tooltip_text_8 .footnote_tooltip} und geht.

An den letzten Zeilen des Buchs lässt sich bereits erkennen, dass Alexej Polina lange hinter sich gelassen hat und nur noch Mittel und Wege findet, sich im Geist den nächsten Spielzug zu erlauben.

»Morgen, morgen nimmt alles ein Ende!«


Das vorliegende Buch: Der Spieler in der Taschenbuchausgabe mit Nachbemerkung von Michael Wegner, 1. Auflage 2008, aufbau Verlag, ISBN 978-3-7466-6110-0; Preis: 7,95 Euro

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