Veintiuno

Tristans Tristesse: Bahnfahrt II

Anna setzte sich wortlos neben Tristan und faltete etwas verkrampft die Hände.

Normalerweise hätte sie nun zum Taschentuch gegriffen und Tristans Nasenbluten gestillt, aber diesmal sie saß nur da und regte sich nicht. Sie kniff von Zeit zu Zeit ihre Lippen zusammen und entspannte sie kurz darauf wieder.

Ein älterer Herr schaute verstohlen herüber. Er fuhr allein und besetzte mit seinen Koffern einen Vierersitz. Seine grauen Locken wirkten ungewöhnlich und erinnerten an den einen oder anderen bekannten Künstler oder Komponisten.

Seine Absichten waren nicht schwer zu erraten, denn sein Blick fiel immer wieder auf Annas Beine, die unter ihrem mittellangen Rock hervorschauten.

Anna bemerkte nach einer Weile die drängenden Blicke des Mannes und blickte ihn finster an. Dieser zuckte kurz und bemühte sich, seinen Blick aus dem Fenster zu zwingen.

Als Anna und Tristan ihre Station erreichten, standen sie auf machten sich auf den Weg zu einer der Türen. Tristan trottete hinter Anna hinterher. Das verschmierte Blut von vorhin hatte er sich schließlich selbst aus dem Gesicht gewischt.

Der grauhaarige Mann wollte ebenfalls aussteigen und ließ es sich nicht nehmen, direkt neben Anna zu gehen. Wie zufällig streifte er dabei mehrfach ihren Körper. Anna antwortete erneut mit giftigen Blitzen, doch der Mann grinste nur und zuckte scheinbar entschuldigend mit den Schultern.

Anna war kurz davor, ihre Beherrschung zu verlieren, als Tristan wie aus dem Nichts zwischen den beiden erschien. Ansatzlos stand er vor dem Gesicht des aufdringlichen Mannes und starrte ihn an. Obwohl weiterhin in der Hauptsache Ausdruckslosigkeit daraus abzulesen war, ließ sich noch etwas anderes darin finden. Ein paar Prozent des Blickes sprachen „Mach‘ das noch einmal, Freundchen, und du verlässt den Zug als erster. Und zwar durch’s Fenster!“

Der Angestarrte sank merklich in sich zusammen, drehte sich um und verhielt sich für die verbleibende Zeit wie ein normaler Zuggast. Als Anna den Zug verlassen hatte, atmete sie merklich durch. Sogar ein Lächeln huschte kurz über ihr Gesicht. Das Wochenende konnte beginnen.